Maike Schaefer im Interview: "Ich würde das meiste wieder so machen" (2024)

Frau Schaefer, seit der Wahl sind vier Monate verstrichen. Was hat sich in dieser Zeit bei Ihnen getan?

Maike Schaefer:Ich habe Abstand gewonnen. Ich habe die Wahl verarbeitet, lasse sie hinter mir und schaue nach vorne.

Reichen vier Monate?

Der Prozess ist sicherlich noch nicht abgeschlossen. So etwas dauert. Am Anfang stand die große Enttäuschung über das Wahlergebnis, dann auch der Entschluss, nach der Wahl Verantwortung zu übernehmen und nicht mehr für das Amt der Senatorin und Bürgermeisterin zur Verfügung zu stehen. Das war ein schwerer Schritt. Er hat mich Mut gekostet und mich emotional mitgenommen, wie man mir zu diesem Zeitpunkt wohl auch ansehen konnte.

Schmerzt Sie die Wahlniederlage noch?

Nein, eigentlich nicht. Ich sehe im Vergleich viel klarer, was in den vier Jahren los war. Ich habe mein Amt sehr gerne und mit Herzblut ausgeübt, aber es hatte auch Schattenseiten – nicht nur wegen Corona. Ich hatte durchgehend eine 70-Stunden-Woche. Vieles geht dabei verloren. Die Zeit für meine Familie hat darunter sehr gelitten. Ich hatte auch wenig Zeit, um mich regelmäßig mit Freunden zu treffen. Jetzt habe ich wieder deutlich mehr Freiheiten.

So gut wie jeder musste schon mal eine Niederlage verkraften, aber nicht im Scheinwerferlicht. Was ging in Ihnen vor?

Natürlich denkt man verschiedene Szenarien vorher durch. Die Wahlprognosen werden zuverlässiger, je näher die Wahl vorrückt. Ich war also in gewisser Weise etwas vorbereitet, auch wenn ich nicht mit dem Verlust von fast sechs Prozentpunkten gerechnet hatte. In einer Demokratie muss man mit politischen Niederlagen rechnen und diese einstecken können. Am Wahlabend habe ich einfach nur funktioniert, da ist im Grunde gar keine Zeit, um zur Besinnung zu kommen. Aber sobald der Medienrummel vorbei ist, treffen einen die Gefühle und Gedanken mit voller Wucht.

Wie ist es Ihnen an den nächsten Tagen in der Öffentlichkeit ergangen?

Die ersten ein, zwei Wochen ging es mir nicht gut, das will ich nicht verhehlen. Aber meine Familie hat mir den Rücken gestärkt, auch meine Freundinnen und Freunde. Ich habe von Nachbarn, Bekannten, aber auch aus der Stadtgesellschaft viele wertschätzende und respektvolle Rückmeldungen bekommen. Das hat mich aufgerichtet. Im Ressort habe ich weitergearbeitet bis zur Wahl des neuen Senats. Meinem Team habe ich in diesen Tagen auch immer wieder gesagt, dass es sehr schade ist, dass die gemeinsame Zeit so endet.

Sie sagen, es hat Sie Mut gekostet, Ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Hat die Partei das nicht auch erwartet?

Es war meine Entscheidung. Man muss sich ja selbst fragen: Will und kann man unter diesen Umständen weitermachen? Fühlt man sich ausreichend unterstützt? Ich habe auch gemerkt, dass das alles nicht spurlos an meiner Familie vorbeigeht. Da war die rote Linie überschritten.

Haben maßgebliche Grüne die Wahlniederlage nicht Ihnen zugerechnet?

Natürlich diskutiert man über die Zukunft einer Spitzenkandidatin oder eines Spitzenkandidaten, wenn das Wahlergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Das ist ganz normal, in jeder Partei und bei jeder Wahl. Aber es gab auch andere Stimmen. Ich habe von der Basis sehr viel Unterstützung und Wertschätzung erhalten. Ein Wahlergebnis spiegelt immer eine Gemeinschaftsleistung von Partei, Fraktionen und Senat wider. Es ist nicht nur an eine einzelne Person oder eine Spitzenkandidatin gekoppelt. Sicherlich habe ich auch Fehler gemacht. Am Ende hat auch Anja Stahmann Konsequenzen gezogen wie die Landesvorstandssprecher, nur die Fraktionsspitze nicht, anders als der damalige Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner nach der Wahl 2015. Die Verkehrswende ist umstritten, das Thema Verkehrspolitik polarisiert. Mir das alleine anzukreiden, finde ich schwierig. Wir sind ja angetreten, um etwas zu ändern, aus grüner Überzeugung, und dabei hätte ich mehr öffentlich wahrnehmbare grüne Unterstützung erwartet, wenn ich grüne Programmatik auch gegen Widerstände umsetze.

Ihnen soll angekreidet worden sein, dass Sie die grüne Bundespolitik ebenfalls für das Wahlergebnis verantwortlich gemacht haben.

Mir wurde – auch aus Berlin – zu verstehen gegeben, dass sich die Bundesebene vor Vizekanzler Habeck und sein Heizungsgesetz stellen wird. Aber die Bundespolitik hatte natürlich Auswirkungen auf das Wahlergebnis in Bremen, jede Landtagswahl ist auch abhängig von Bundestrends: An allen Wahlkampfständen, und ich war an sehr vielen, war das umstrittene und heiß diskutierte Heizungsgesetz Thema Nummer eins. Im März lagen die Grünen in Bremen in Umfragen noch bei 19 Prozent, trotz der Maßnahmen in der Martinistraße und am Wall und vieler anderer Themen. Die Vetternwirtschaftsvorwürfe auf Bundesebene eine Woche vor der Wahl haben auch nicht geholfen, ein gutes grünes Ergebnis zu erzielen.

Man wird den Eindruck nicht los, dass Sie sich immer noch meinen rechtfertigen zu müssen. Nehmen Sie die Kritik an Ihren Entscheidungen vielleicht zu persönlich?

Was mich beschäftigt ist, dass man nicht zwischen dem Menschen Maike Schaefer und dem Amt der Senatorin unterschieden hat. Ich musste eine ganze Reihe persönlicher Angriffe über mich ergehen lassen, oftmals anonym und unter der Gürtellinie. Ich war Projektionsfläche für generellen oder persönlichen Frust einzelner Menschen. Ich habe zum ersten Mal Sexismus erlebt, wurde zum Teil für mein Aussehen abqualifiziert und stand drei Monate unter Polizeischutz. Das alles perlt nicht einfach an einem ab. Der Preis ist hoch, den man für so ein Amt zahlt, das man ausübt, weil einem das Land und die Demokratie am Herzen liegen. Obendrein haben es Frauen in solchen herausgehobenen Positionen dreimal so schwer wie Männer. Wenn sich der gesellschaftliche Diskurs und die oft angeheizte Debatte zu politischen Ämtern nicht ändert, dann mache ich mir Sorgen um die Demokratie.

Sind Sie von den Grünen enttäuscht?

Ich hätte mir, wie gesagt, hier und da mehr Unterstützung der Grünen gewünscht. Es ging ja nie um meine persönlichen Themen, es ging um zentrale Themen der Grünen und der rot-grün-roten Koalition, um Punk­te aus dem grünen Wahlprogramm, das ein Gemeinschaftswerk der Partei ist, und dem Koalitionsvertrag sowie Beschlüsse aus Deputationen und der Bürgerschaft. Unter starker Politik verstehe ich auch großen Zusammenhalt, um die gesteckten Ziele zu erreichen und gemeinsam für sie einzustehen, statt sich wegzuducken, wenn es unbequem wird. Schon mit meinem Ergebnis von nur knapp 73 Prozent bei der Listenaufstellung im Dezember haben die Grünen nicht nur mich, sondern auch sich selbst geschwächt.

Die Brötchentaste kommt zurück. Kränkt Sie das?

Nein, aber ich nehme zur Kenntnis, dass die Koalition ihre eigenen politischen Beschlüsse wieder zurücknimmt.

Das ist an sich nichts Verwerfliches.

Es ist populär, aber meiner Meinung nach ein falsches Signal. Wer die Verkehrswen­de wirklich will, kann keine Brötchentaste wollen.

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Wenn Ihre Amtszeit in einem Geschichtsbuch ausgebreitet wird - wären Sie einverstanden mit der Überschrift: Maike Schaefer, die Unverstandene?

Das klingt etwas negativ, finde ich. Zudem gab es auch Verständnis in meiner Amtszeit für grüne Politik. Was mich vor allem auszeichnet ist, dass ich keine Scheu davor habe, auch unbeliebte Themen voranzutreiben.

Also: Maike Schaefer, die Unerschrockene?

Die Unerschrockene oder Mutige – das trifft es meiner Meinung nach schon eher.

Aber dafür haben Sie die Quittung bekommen.

Mir wird nachgesagt, hartnäckig für meine Überzeugungen einzustehen, ob im Senat oder auf Länderminister-Ebene, und trotzdem konstruktiv um Lösungen zu ringen. Die Durchsetzung des 49-Euro-Tickets, für das ich als Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz gekämpft habe, ist ein Beispiel dafür. Was ich mache, das mache ich zu 100 Prozent. Und wer einen Posten im Senat übernimmt, muss an den Zielen der Partei und der Koalition arbeiten. Es reicht nicht, seine Unterschriftenmappe zu fotografieren und auf Instagram zu posten. Man wird an den Ergebnissen gemessen. Ich würde das meiste wieder so machen, sonst bewegt sich nichts. Ich würde mir aber bewusst machen, dass man dafür einen Preis zu zahlen hat, beispielsweise, was das Wahlergebnis und die eigene Konsequenz daraus betrifft.

Das heißt: lieber vier Jahre grüne Projekte umsetzen und dafür bei der Wahl abgestraft werden, als wenigerumsetzenund womöglich länger im Amt bleiben?

Ich bin nicht unzufrieden mit meiner Bilanz zum Ende der Legislaturperiode. Auch wenn ich gerne länger im Amt geblieben wäre, keine Frage, um noch mehr umzusetzen. Ich sehe keinen Sinn darin, die eigenen Ziele zu verwässern, um sich nicht unbeliebt zu machen. Mir war es immer wichtig, morgens in den Spiegel gucken zu können, und das kann ich nach wie vor. Mein Amt war eine große Herausforderung. Meiner Meinung nach spiegelt es die Polarisierung der Gesellschaft in etlichen Themen wider und zeigt die geringe Kompromissbereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger. Als Senatorin sitzt man ständig zwischen Baum und Borke und versucht, Mittelwege zu finden. In sehr vielen Fällen haben wir Kompromisse möglich gemacht, das wurde aber nicht anerkannt, weil Maximalforderungen nicht erfüllt wurden.

Hätten Sie Ihrer Partei vielleicht klarer machen müssen: Ich stehe für unsere Sache ein, aber es könnte Ärger geben?

Der innerparteiliche Druck in Bezug auf Klimaschutz und Verkehrswende war enorm groß – mir gegenüber. Einige grüne Projekte haben zu öffentlichen Konflikten geführt, da hätte mehr grüner Zusammenhalt geholfen.

Würden Sie gar nichts anders machen, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten?

Inhaltlich nicht, aber die Kommunikation würde ich verbessern. So sind die dringenden Anpassungen an den Klimawandel noch nicht wirklich in der Gesellschaft angekommen. Persönlich würde ich mich anders rüsten, um besser auf öffentliche Kritik und auf Unerwartetes reagieren zu können, auf das man keinen Einfluss hat.

Bleibt etwas zurück?

Ich habe sehr viel gelernt und viele neue Erfahrungen machen dürfen. Ich habe etwas bewegen können, etwas, das bleibt. Trotz aller Kritik und trotz der Heidenarbeit ist das ein positives Resümee für mich. Was als feine Narbe bleibt: Man stellt in einer solchen Krise fest, wer die echten Freundinnen und Freunde sind und wer sich nur so nennt, aber nur die eigenen Vorteile im Blick hat. Ich habe und hatte kein Interesse an innerparteilichen Machtspielchen – das werde ich nicht vermissen.

Sie sind wieder Abgeordnete in der Bremischen Bürgerschaft. Wie fühlt sich das an?

Die Zusammenarbeit in der Fraktion ist sehr konstruktiv. Wir ergänzen uns gut. Ich habe von mir aus neue Themen übernommen: Bremen-Nord, Verbraucherschutz und Entwicklungszusammenarbeit. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, in einer ­Deputation zu sitzen und meine beiden Nachfolgerinnen schlaumeierisch zu begleiten.

Ihre Expertise in Klimaschutz-, Verkehrs- und Bauthemen geht den Grünen verloren.

Verbraucherschutz hat viel mit Energie und Klimaschutz zu tun, auch bei der Entwicklungszusammenarbeit gibt es Anknüpfungspunkte, Stichwort: Klimaflüchtlinge. Aber ein Teil meiner Erfahrung und meines Wissens, auch als Biologin, geht tatsächlich etwas flöten.

Reicht Ihnen das Mandat?

Mit dem Mandat übernehme ich auch wieder eine Verantwortung für die Demokratie. Ich schaue mich zudem in aller Ruhe um, wo ich darüber hinaus meine Erfahrungen und Fachkenntnisse zukünftig einbringen kann.

In Bremen oder anderswo?

Wir werden natürlich in Bremen wohnen bleiben, das steht für uns als Familie fest.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Zur Person

Maike Schaefer

warvon 2019 bis 2023 Bürgermeisterin sowie Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Zuvor war die Biologin Vorsitzende der grünen Bürgerschaftsfraktion.

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